Platz! Alle Hunde werfen sich gehorsam zu Boden und warten gespannt auf den nächsten Befehl. Nur der Picard lässt sich betont langsam auf sein Hinterteil nieder und wendet stur den Blick zur Seite.
Sie finden das witzig? Dann lesen Sie weiter – diese Hunde könnten Sie glücklich machen!
Auf den ersten Blick ist er ein wilder Geselle: struppiges Gesicht mit langem Ziegenbart, buschige Augenbrauen, zottelige Fransen an den übergroßen Stehohren. Und das raue, halblange Fell des Berger de Picardie erinnert in allen Schattierungen von Dunkelgrau bis Weizengelb an das Haarkleid von Wildtieren.
Wer dann ein zweites Mal hinschaut, wird einen Hund von seltener Schönheit und ungewöhnlichem Charme entdecken. Die hohen Beine tragen einen schmalen Körper im federnden Trab und raumgreifenden Sprint. Mit Spannkraft und Eleganz bestechen die Gangarten des Picards, seine ganze Motorik wirkt konzentriert, harmonisch und geschmeidig. Der klare Blick aus dunkelbraunen Augen zeugt von freundlicher Intelligenz – und geht mitten ins Herz.
Vielleicht stammt der raue Schöne von keltischen Hirtenhunden ab, sicher haben seine Vorfahren in der nordfranzösischen Picardie große Viehherden auf der Wanderschaft begleitet. Daher sein Schneid, seine Unerschrockenheit. Daher auch seine größte Leidenschaft: Er will raus, raus, raus! Richtig glücklich scheint ein Picard nur unterwegs zu sein. Und das bei jeder Jahreszeit. Alle Wetter sind ihm recht, sein hartes Fell schützt ihn gegen Kälte und Regen, er liebt den Wind im Gesicht und den Blick über die offene Ebene.
Aber Achtung: Ein junger Picard wird der rasanten Hatz eines Hasen oder Rehs nur selten widerstehen können. Sein Begleiter muss aufmerksam sein, das Wild zuerst entdecken und den Jäger rechtzeitig zur Ordnung rufen. So auch bei der Begegnung mit fremden Menschen und Hunden. Lässt man seinen tapferen Wächter gewähren, kann er sich einem Unbekannten schon mal leise knurrend in den Weg stellen – frei nach dem Motto: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser...
Geeignet sind diese Hunde deshalb nur für Menschen, die viel und gern mit offenen Augen in der Natur sind, ausreichend Zeit und die richtige Umgebung für tägliche lange Spaziergänge haben. Auch einen Garten wird der Picard gern nutzen – zum Toben und Spielen, zum Aufpassen in der Dämmerung oder einfach nur, um seine Hundenase in die geliebte frische Luft zu halten.
Im Haus ist der Berger de Picardie ein ruhiger und diskreter Mitbewohner. Man kann ihn allein lassen, er fügt sich ohne Zerstörungswut oder großes Geheul in sein Schicksal. Aber er wartet sehnsüchtig auf die Rückkehr seiner Menschen, denn wie im ursprünglichen Hirtenleben fühlt er sich nur in seinem Team wirklich wohl. Ein Picard will immer dabei sein!
Aufs Wort zu gehorchen, liegt ihm nicht. Jedenfalls nicht aufs erste. Der Picard will seine Handlungen verstehen – ein zackiger Befehlsempfänger wird er niemals. Denn als Wächter und Treiber großer Viehherden mussten seine Vorfahren eigene Entscheidungen treffen, ohne Anweisung die Herde zusammenhalten und vor Angreifern schützen.
Viele bewährte Erziehungstipps werden bei dem eigensinnigen Hund deshalb versagen. Leckerchen nimmt er nur, wenn er gerade Appetit hat. Ein Lob motiviert ihn kaum – der Picard gefällt sich von Natur aus prima, sein „will to please“ ist mangelhaft. Klassische Konditionierungen prallen an ihm ab, denn ständige Wiederholungen findet der französische Freigeist einfach doof.
Aber klar, auch ein Picard muss erzogen werden. Dem Rückruf folgen, bei Fuß gehen und ein Nein zu akzeptieren, sind unverzichtbar für ein glückliches Zusammenleben von Mensch und Hund. Durchsetzungskraft und Geduld statt Dressur, Fantasie und Humor statt dogmatischer Methoden sind die Mittel der Wahl. Mit anderen Worten: Hier ist echte Beziehungsarbeit gefragt.
Viel eher als einen ausgebildeten Hundetrainer braucht der charaktervolle Hund also eine ausgereifte Persönlichkeit an seiner Seite. Und das kann durchaus auch ein Anfänger sein. Fehler verzeiht der Picard großzügig, und ein strenges Wort im rechten Moment nimmt er nicht übel. Unberechenbare Unbeherrschtheit oder gar Gewalt werden ihn hingegen – wie ja übrigens alle Hunde – zerbrechen und seelisch vereinsamen lassen.
Aber wer sich auf diesen Dickkopf wirklich einlässt, über seine Faxen lachen kann und ihm auch mal eigene Entscheidungen erlaubt, entdeckt hinter der rauen Schale ein großes Hundeherz – und findet auf dem gemeinsamen Weg mit einem Picard womöglich das, was der Mensch seit jeher in einem Hund sucht: Einen mutigen Beschützer und ewig treuen Freund.
Er kann rennen wie der Wind, blitzschnelle Haken schlagen, ist von enormer Sprungkraft, ausdauernd und hart im Nehmen. Wer explizit Hundesport betreiben will, sollte einen Picard dennoch nicht in die engste Wahl ziehen. Wenn Sie an den falschen geraten, wird Ihr Liebling zweimal bravourös den Parcours nehmen, sich für seine Leistung feiern – und die Sache gut sein lassen. Runde um Runde derselbe Trott ergibt für den selbständig denkenden Hund einfach keinen Sinn.
Nicht anders im Spiel. Es soll sie ja geben, die Picards, die leidenschaftlich apportieren und Frisbee-Scheiben fangen. Die Mehrzahl findet es allerdings eher blöd, einem Ball hinterher zu laufen und denkt sich das Unterhaltungsprogramm lieber selbst aus. Zwar dankbar für einen robusten Spielpartner, können sich die Witzbolde dann aber auch wunderbar allein amüsieren.
Junge Picards raufen und laufen mit anderen Hunden gern hart und ungestüm, Knuffe und Purzelbäume stecken sie klaglos weg. Aber ein Picard gehört nicht zu den ewigen Kindern auf der Hundewiese – er wird erwachsen. Dann sorgt er für Ordnung in der Gruppe. Ein wilder Haufen wird geschickt getrennt und alle Spieler auf die Plätze verwiesen. Und Vorsicht: Bei einem echten Konflikt ist der Picard nicht zimperlich – im Ernstfall werden keine Gefangenen gemacht.
Laut Rassebeschreibung wird ein Berger de Picardie etwa 10,5 Jahre alt. Ein statistischer Mittelwert, der im Grunde gar nichts aussagt. Ob Sie diesen Hund ein kurzes oder langes Stück begleiten dürfen, hängt – wie wohl alles im Leben – letztlich vom Glück ab. Aber die Voraussetzungen für ein gesundes Hundeleben sind gut: Durch seine lange Nase kann der Picard frei atmen, sein leichter Körper mit geradem Rücken und starker Muskulatur erlaubt ihm jede Bewegung. Und für die Zucht werden nur Tiere ohne vererbbare Krankheiten zugelassen.
Allerdings muss man dem Glück auch ein wenig auf die Sprünge helfen. Viel Bewegung, eine gesunde Ernährung und eine stabile, liebevolle Beziehung unterstützen Ihren besten Freund dabei, fit und fröhlich durchs Leben zu spazieren. Die Pflege der robusten Vierbeiner ist denkbar einfach. Ihre gut belüfteten Ohren sind stets sauber, das harte Fell reinigt sich selbst, gelegentliches Durchbürsten dient nur der Schönheit. Viel mehr als den Hund muss man das eigene Zuhause putzen – unsere Naturburschen tragen immer Sand und Dreck in die gute Stube! Einzig die Krallen bereiten den Picards manchmal Kummer: Sie neigen zur Brüchigkeit und sollten deshalb immer kurz gehalten werden.
Picards können sprechen. Glauben Sie nicht? Sie werden sich wundern. Ihr phonetisches Repertoire reicht von Brummen, Grunzen und Wuffen über Fiepen und Quietschen bis zu Maunzen, Murmeln und Seufzen. Jede Lautäußerung hat ihre eigene Bedeutung, die zu lernen, großes Vergnügen bereitet. Und wenn sein Mensch trotzdem mal wieder gar nix kapiert, hilft sich der Picard mit den Pfoten weiter: Ein gezielter Tritt bringt schließlich auch den größten Ignoranten zum Lachen – und Zuhören.
Natürlich kann ein Picard auch bellen wie ein ganz normaler Hund. Er ist kein Kläffer, wird vermeintlichen Eindringlingen aber deutlich hörbare Grenzen setzen. Ein mutiger Viehhirte muss eben die Feinde der Herde auf Abstand halten. Und manchmal, in ganz besonderen Momenten, entlockt das uralte Blut ihren Kehlen die Stimme der Ahnen: Wenn ein Picard den Kopf in den Nacken legt und heult wie ein Wolf, heulen Sie einfach mit!